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Hans Volkert erzählt uns eine Geschichte über

Fortbewegungsmittel - nicht nur in Leerstetten

Fast ein halbes Jahrhundert musste vergehen, seit Carl Benz mit seinem ersten Automobil, einem Dreirad-Velociped, am 3. Juli 1886 über die Straßen Mannheims gehoppelt war, ehe in Leerstetten der erste Bürger hinter einem Steuerrad gesichtet wurde.
 
Pioniere der neuen Fortbewegungsart in Leerstetten waren Karl Plesch und Hans Hetzelein, die anfangs der 30er Jahre ihre mit Ottomotoren angetriebenen Fahrzeuge über die staubigen, dreckigen Straßen unserer Umgebung lenkten.
Hatten beide nicht ein besonderer Gespür für die überall unaufhaltsam gewordene Motori­sierung des Straßenverkehrs? Neben dem nötigen "Kleingeld" brachten beide eine Portion Mut auf.

Zugegeben, auch der Bau der ersten Autobahn Berlin-München von 1934 auf 1936 verlieh der Motorisierung des Verkehrs einen ungeheuren Auftrieb. In diesen Aufwärtssog geriet natürlich auch die Zweiradindustrie, die besonders in Nürnberg namhafte Erzeugnisse produzierte.


Als einer der würdigsten Repräsentanten des Motorrads der früheren Jahre erwies sich in unserer näheren Umgebung der gebürtige Unterfranke Hans Baumgärtner. Sein Name blieb eng mit der Herstellerfirma "Ardie" verbunden.

 
Hans Baumgärtner war aber nicht nur ein ausgezeichneter, ja leidenschaftlicher Motorradfahrer. Ebenso emsig widmete er sich in seiner Freizeit der Reparatur in Leerstetten schadhaft gewordener Geräte, insbesondere aber der defekten Fahrzeuge.
 
Der damalige Holzhändler Johann Kircher aus der Schwabacher Straße war dann im Bunde der hiesigen Autofahrer der Dritte. Etliche Jahre vor dem 2. Weltkrieg erwarb er eine DKW ­ Limousine mit dem typischen Sperrholzbezug. Sein Zweitakter wurde für die Wehrmacht auf ein Nimmerwiedersehen eingezogen.
 
Neben den seinerzeit produzierten stärkeren Zweiradmaschinen der Marken Zündapp, Triumph, BMW, Victoria, NSU, DKW, Express usf. fanden die mit einem 98 ccm­ Zweitaktmotor ausgerüsteten Kleinkrafträder ohne Kickstarter der Marken Wanderer und dergleichen auch in unserer Gemeinde viele Liebhaber. Nur wenige Zeitgenossen werden sich heute noch schmunzelnd an den früheren Bürgermeister Matthias Haiger erinnern, der auf einem solchen Zweirad mit umgehängter Aktentasche zum Bezirksamt nach Schwabach fuhr, um dort seine Amtsgeschäfte zu erledigen.
 
Die infolge der Kriegs- und Nachkriegszeit hervorgerufene Treibstoffverknappung ließ den privaten Kfz.- Verkehr fast vollständig zum Erliegen kommen. Lediglich die Versorger mit lebensnotwendigen Gütern und andere Privilegierte bekamen den begehrten Sprit und nach Nürnberg hielten nur die mit Holzgas betriebenen Omnibusse die Verbindung aufrecht
 
Die bis zur Währungsreform völlig darnieder liegende Fahrzeug-Herstellung erfuhr mit dem Währungsstichtag am 20. 6. 1948 eine überraschende Wiedergeburt. Plötzlich gab es allenthalben wieder Fahrräder, Motorräder und auch wieder Autos. Niemand mochte bislang um die wertlose Mark Fahrzeuge herstellen.

Da die DM-Zuteilung für den einzelnen unmittelbar nach der Währungsreform sehr knapp war, mussten sich die meisten zunächst mit einem Fahrrad begnügen. Dieses anspruchslose Gefährt wurde nicht nur auf den Weg zu und von der Arbeitsstätte eingesetzt, sondern man fuhr mit ihm auch zum sonntäglichen Vergnügen.
 
Im Dezember 1949 kaufte sich der Landwirt Karl Volkert seinen ersten Pkw., einen ge­brauchten Opel P4. Nicht wenige Einwohner fragten sich damals kopfschüttelnd: Wozu braucht dieser ein Auto? Der genannte Autofan hatte darauf schon eine Antwort parat:
"Für einen kurzen Pfingstausflug in die Berge". Später, als die Motorisierung auch auf dem Dorf enorm zunahm, erübrigten sich derartige Überlegungen.
 
Die relativ rasche wirtschaftliche Erholung Westdeutschlands, besser unter dem Begriff "Wirtschaftswunder" bekannt, machte den billigen Drahteseln bald den Garaus. Ab Beginn der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts leisteten sich schon viele der Berufstätigen mindestens ein Motorrad. Daneben wurden in allen Variationen Räder mit Hilfsmotoren hergestellt. Die kleinen unter diesen motorisierten Zweirädern fanden nicht nur bei den Jugendlichen und Frauen treue Abnehmer.

Mit der Entwicklung des Motorrollers, dessen ursprüngliche Schöpfer in Italien beheimatet waren, erwuchs den Motorrädern eine ernstzunehmende Konkurrenz. Die Vorteile, die der bessere Wetterschutz auf dem Roller brachte, waren nicht mehr zu leugnen.
 
In den Jahren 1955/56 setzte sich das Auto auch auf dem Dorf immer mehr gegenüber dem Zweirad durch. Das in seiner Anschaffung und Unterhaltung teurere Auto brachte andererseits entschieden mehr Komfort und Sicherheit. Die dadurch schon arg gebeutelte Zweiradindustrie sollte in den Folgejahren noch eine zusätzliche von schweren, dennoch billigeren Motorrädern bekommen, und zwar aus Fernost.
 
In den 50er Jahren, als der VW-Käfer noch zur Auto-Mittelklasse zählte, überboten sich die Fahrzeug- Techniker mit den ausgefallensten 3- und 4-Rad-Konstruktionen. In diesem Zusammenhang sollen nur beispielhaft einige Fahrzeugtypen genannt werden: der Messerschmidt-Kabinenroller, die Isetta von BMW, das recht eigenwillige Fahrzeug "Janus" von Zündapp und natürlich das Gogomobil. Letzteres entstand in der Landmaschinenfabrik der Hans-Glas-GmbH im niederbayerischen Dingolfing. Mit seinen 4 Sitzen war es bereits ein "richtiges" Auto für die Nachkriegsfamilie.
 
Erwähnenswert erscheint auch der kleine "Lloyd", den der Volksmund mit dem Namen "Leukoplast-Bomber" bedachte, weil seine Holzkarosserie mit Kunststoff überzogen war.
Gemeinsam hatten diese Nachkriegs-Kleinwagen Antriebsmotoren mit einem Hubraum von etwa 500 ccm. Neben geringem Benzinverbrauch und Anschaffungspreis ging es den Käufern auch um die Hubraumsteuer.
 
Als die großen Wagenhersteller den Automarkt wieder an sich zogen, mussten die meisten Pioniere der Kleinwagen wieder aufgeben. Doch zur Autogeschichte zählen ihre eigenwilligen Produkte allemal.
 
Der heutige Fahrzeugbestand in der Bundesrepublik bringt für einen Großteil der Bevölkerung neben der eingangs erwähnten Freizügigkeit eine gute, wenn auch nicht für immer, eine gesicherte Existenzgrundlage. Außer den eigentlichen Fahrzeugherstellern profitieren viele Zulieferer und nicht zuletzt die Tankstellen-Ketten vom Auto boom.
Da es in Leerstetten während der ersten Phase der Motorisierung noch keine Tankstelle, weder für Otto- noch Dieselmotoren, gab, waren die meisten motorisierten Dorfbewohner über den Entschluss des Schmiedemeisters Georg Hertel erfreut, auch in Leerstetten 1956 je eine Zapfsäule für die beiden Treibstoffe einzurichten.
 
Wie fast überall, standen auch die DEA-Tanksäulen im Freien und mussten mit der Hand bedient werden. Der Tankstellenbesitzer pumpte die gewünschte Treibstoffmenge in zwei miteinander verbundenen Glaszylinder. Ihr Inhalt wurde über einen langen Schlauch in den betreffenden Fahrzeugtank entleert. Die Preisberechnung des verkauften Sprits erfolgte in der damals üblichen Weise. Das seinerzeit noch vielfach benötigte Treibstoffgemisch für die Zweitaktmotoren stellte der Tankstellenbesitzer in einem eigens dafür hergestellten Gerät her.
 
Im Lauf der Jahre wurden die Tankstellen im ganzen Land immer besser ausgestattet und eingerichtet. Leider wurde in dieser Hinsicht nicht immer mit dem erforderlichen Augenmaß gearbeitet. So musste so manche Tankstelle - vor allem auf dem flachen Land - wieder schließen. Durch die inzwischen etablierten "freien" Tankstellen ist auf dem Tankstellen-Markt ein harter Konkurrenzkampf entbrannt.
 
Wegen der vorteilhaften Lage an einer vielbefahrenen Kreisstraße konnte sich die örtliche Tankstelle behaupten. Seit Einführung der Selbstbedienung sind viele frühere Handgriffe weggefallen.
Das Automobil ermöglichte erst die allen Bürgern grundsätzlich verbriefte Freizügigkeit zu verwirklichen. Die mittlerweile erreichte Fahrzeugdichte macht aber einen Teil dieser Freizügigkeit wieder zunichte. Zu den negativen Erscheinungen der Motorisierung gehören auch die jährlich in die Tausenden gehenden Verkehrsopfer sowie die verursachte Lärmbelästigung und die Zerstörung der Natur. Alles hat eben seine zwei Seiten und seinen Preis.


Den gab es damals und gibt es auch heute noch - wenn auch in einem anderen "Outfit".

Anmerkung zum Gogomobil: es war nicht nur die Hubraumsteuer, sondern vor allem die Tatsache, dass das 250er Gogo mit dem "alten" 4er Motorradführerschein gefahren werden konnte. Dadurch ersparte man sich die Fahrstunden und den Stress einer erneuten Fahrprüfung. Und als Motorradfahrer war man ja sowieso ein alter Hase und erfahrener Verkehrsteilnehmer. Mein Onkel Georg war so einer. Er hatte eine TS 250, das war ein Coupè mit Vorwählgetriebe (eine Art Halbautomatik - schalten ohne zu kuppeln), 13,6 PS  und einer Spitze von 85 km/h. Einmal durfte ich damit fahren.

Schwanstetten im März 2016

Alfred J. Köhl
 
Als Anlage die *.PDF der Seite 37 des Schwabacher Tagblattes vom 12.03.2016 mit dem Artikel über diese Seite.