Direkt zum Inhalt


Der Gemeindehirte

aufgeschrieben von Hans Volkert

Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts lagen in unserer Gegend noch große Flächen brach. Und selbst nach Aufgabe der 3-Felder-Wirtschaft war der Anteil der Hutungen an der gemeindlichen Gesamtfläche noch beträchtlich.

Bis dahin konnte sich auch - zumindest während der Sommermonate - die Stallfütterung nicht durchsetzen. Was lag da also näher, als eine ausgedehnte Weidewirtschaft zu betreiben? Kein Wunder also, wenn auch die kleinste Ortschaft einen Hirten beschäftigte.

Ein Viehhirte stand auf der Sozialleiter auf einer der niedrigsten Stufen. Er war in der Regel alleinstehend und meistens arm. Üblicherweise wurde er von der Gemeinde für eine kürzere Zeitspanne angestellt (gedingt).

Für seine Leistungen bekam er Barlohn und vor allem Sachbezüge. Ein neuer Hirte konnte auch darauf vertrauen, dass ihm in der Ortschaft ein eigenes Haus, wenn auch spärlich aus­gerüstet, das sogenannte "Hirtenhaus", zugewiesen wurde.

Gelegentlich musste er dann sein Domizil mit Bettelleuten, Kesselflickern und Scheren­schleifern teilen, die von der Ortsverwaltung zur einmaligen Übernachtung eingewiesen wurden. Ein längerer Aufenthalt wurde diesen fliegenden Händlern und Handwerkern nicht gestattet, damit der Gemeinde keine Unterhaltsverpflichtungen erwuchsen.

Innerhalb der früheren Gemeinde Leerstetten blieb von den verschiedenen Hirtenhäusern nur noch das von Harm übrig, das liebevoll lange Jahre von den seinerzeitigen Mietern gepflegt wurde.

Das Hirtenhaus in Leerstetten mit der Haus-Nr. 40 stand in der Gabelung zwischen der Further- und der Hauptstraße. Nach dem Auszug des letzten Hirten beherbergte es recht unterschiedliche Gäste. In ihm nisteten sich nach dem l .Weltkrieg die "Wandervögel" ein. Ihnen folgten die organisierten Verbände des Dritten Reiches (SA, Hitlerjugend, Jungvolk). Dann diente der erdgeschossige Bau den französischen Kriegsgefangenen als Nachtlager. Nach dem verlorenen 2. Weltkrieg fanden in der damaligen großen Wohnungsnot Vertriebene aus dem Sudetenland und aus Ungarn eine vorübergehende Bleibe im ehemaligen Hirtenhaus. Schließlich verkaufte die Gemeinde als Eigentümerin dieses Gebäude mit Grund an die angrenzende Bäckerei Burk, welche die Fläche nach dem Gebäudeabbruch geschäftlich nutzte.

Wenn auch Augenzeugen kaum mehr vorhanden sein dürften, die das Hirtenhaus noch mit­erlebt hatten, so werfen einige wenige Vermerke in den gemeindlichen Protokollbüchern zwischen 1874 und 1913 doch einen Lichtstrahl auf das Leben der damaligen Hirten:

Am 3.11.1874 musste sich die Gemeindeverwaltung mit der Dingung eines neuen Hirten befassen, weil der bisherige "Amtsinhaber" Stefan Peuntinger gekündigt hatte.

Auf ein Inserat im "Intelligenzblatt" Nr. 86 meldeten sich gleich 3 Bewerber für die ausgeschriebene Stelle. Die Wahl fiel dann auf Michael Winkler aus Nemsdorf.

Er übernahm die hiesige Kuhherde an Martini 1874.

Für seine Leistungen wurden ihm zugesichert:

a) freies Wohnen im Hirtenhaus Nr. 40,

b) jährlich 15 Gulden in bar,

c) 60 Nürnberger Metzen(1) Korn und

d) für jedes gezählte Stück Vieh l Bund Stroh.

Konnte an Martini die Viehherde noch nicht getrieben werden, gab jeder Viehbesitzer l Stück Brot für den Hirten, außerdem ein Geschenk zu Weihnachten.

Zur unentgeltlichen Nutzung wurde dem Hirten außerdem überlassen:

a) 0,3 dez. (2) vom Wurzgarten,

b) 11,40 dez. von der Schwabacher Wegwiese,

c) 1,18 dez. von der Siedelwiese und

d) 0,89 dez. von der Langen Wiese.

Der Viehhirte musste geloben, die Viehherde nach gutem Herkommen zu hüten. Außerdem wurde er verpflichtet, gegen 18 Gulden und 42 Kreuzer einen brauchbaren Zuchtbullen zu beschaffen.

Dass eine gelungene Dingung eines ordentlichen Hirten Anlass zum Feiern gab, ist verständ­lich. Doch wurde anlässlich der Anstellung des Hirten oft mehr verzehrt und getrunken, als der Hirte für das ganze Jahr bekam. Diesem Missbrauch wollte man künftig entschieden ent­gegentreten. Auch sollte die Dingung hinfort nicht mehr an einem "heiligen Tag" und während der Predigt erfolgen.

Der Hirte Michael Winkler hatte trotz dieser guten Bedingungen nur einen verhältnismäßig kurzen Aufenthalt in Leerstetten. Bereits am 20. l. 1876 wurde als sein Nachfolger Thomas Müller aus Neuses bestellt.

Auch in den folgenden Jahren dürfte der häufige Stellenwechsel der Hirten kaum eine vertrauensvolle, gediegene Zusammenarbeit zwischen Hirten und Bauern ermöglicht haben.

Die Bauern mag es schon manchmal umgetrieben haben, wenn der Hirte mit dem ihm anvertrauten lebenden Inventar über den "Viehtrieb" abgezogen ist. Auch die Bullenhaltung litt unter dem ständigen Wechsel der Hirten. Doch kein Bauer wollte sich zusätzlich mit der Bullenhaltung belasten.

Dieser Missstand wurde bereits im Bericht über die Gemeindevisitation vom 15. 4.1877 aufgegriffen und so beschrieben:

"In Leerstetten hält noch immer der Hirte den Stier und es besteht noch der Weidegang. Beides ist der Viehwirtschaft nicht förderlich. Es sollte dahin getrachtet werden, dass der bestfütternde Ökonom den Zuchtstier gegen Entschädigung hält und dass die Stallfütterung eingeführt wird. Für das Jungvieh genügt ein Tummelplatz."

Jede Ortsgemeinde hatte ihre besonderen Weidegründe (Hutungen). Diese, in der Regel nicht sehr fruchtbaren Flächen wurden abgeweidet. Daneben gab es im Reichswald genügend Nahrung für das Rindvieh und andere Haustiere (z. B. Schweine).

In Großschwarzenlohe lagen die hauptsächlichen Weidegründe beiderseits des Ödgrabens. In Leerstetten dürften neben dem Hutrecht im Wald vor allem das Grünland des "Gemeindeschlags" zwischen dem Ratzenwinkel- und Siedelweiher die wichtigsten Hutungen gewesen sein.

Aus alten Flurkarten ist noch sehr gut der Verlauf des sogenannten "Viehtriebs" mit der Fl. Nr. 67/2 Gemarkung Leerstetten zu erkennen. Er zog sich in einem weiten Halbbogen entlang der Further Straße bis zum Siedelweiher hin, wo er dann in einer Spitze auslief. Auch zum Gemeindeschlag dürfte die Viehherde über diesen Weg gelangt sein

Die Zusammensetzung einer damaligen, zum Weiden ausgetriebenen Viehherde lässt sich heute schwer beschreiben. Schweine und andere Haustiere werden wohl nicht mehr unter der Herde gewesen sein. Einige Pferde mögen jedoch dazu gehört haben. Räudiges Vieh durfte jedenfalls nicht mit auf die Weide.

Während des Weidens musste der Hirte vor allem Gefahren von der Herde fernhalten und verschiedene Vorschriften beachten. Streng war ihm z. B. untersagt, besamte Felder abgrasen zu lassen.

Das Verhältnis zwischen den Bauern und dem Hirten dürfte im Allgemeinen zufriedenstellend und Klagen über die Verwahrlosung von Vieh wohl die Ausnahme gewesen sein.

Um die Verletzungsgefahr der Rinder untereinander zu verringern, wurden den Tieren vor dem ersten Austrieb die Hörner abgeschnitten.

Im Laufe der Zeit wurden immer mehr Hutungen zu Wiesen kultiviert und den Bauern übereignet.

Auch der einstige "Viehtrieb" verlor immer mehr an Bedeutung. Heute ist er stückweise schon zugewachsen und im Bereich der Further Straße mit Häusern überbaut worden. Auch der Gemeindehirte, einst eine feste Einrichtung in jeder Gemeinde, gehört seit langem der Vergangenheit an.

 

 

(1) Ein bay. Metzen war damals ein Korb mit ca. 37,059 Liter

(2) dez - 100 dez waren ein Tagwerk (ca. 3407 m² - in Bayern)

 

hierzu finden Sie die passende Gebäudebeschreibung des Hirtenhauses in Schwand ..... weiter  

 
Das Bild des Schafhirten ist aus der Sammlung von Marianne Ast. 

Die anderen Bilder sind alle von Hans Volkert:

 

Das ehemalige Hirtenhaus in Harm. 


 

Das Hirtenhaus in Großschwarzenlohe. 



 

Die ehmalige Hutung "Gemeindeschlag" in Leerstetten. 



 

Eine ehemalige Hutung in Großschwarzenlohe. 


 

Die ehemalige Kuhweide in Großschwarzenlohe. 



Schwanstetten im Juni 2011 / ergänzt im Mai 2017

Alfred J. Köhl