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Reinhard Stinzendörfer


Der Markt Schwand im letzten Jahrhundert


Die Ortsentwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts  

 

  
Der Markt Schwand gehörte bis 1791 zum Markgrafentum Brandenburg-Ansbach und war in dieser Zeit Sitz verschiedener Ämter, die sich unterhalb der Kirche in der „Herrengasse“ (heute Nürnberger Straße) befanden.  
Auf der Ansichtskarte von 1902 sind die Häuser früherer markgräflicher Amtsträger abgebildet.  
Linke Straßenseite: das Haus des Forstverwalters (mit dem Aufzugsgiebel), rechts daneben das Richterhaus, direkt an der Friedhofsmauer das alte Schulhaus.  
Rechte Straßenseite: 1831 wurde auf der gegenüberliegenden Straßenseite das neue Schulhaus errichtet. Südlich davon befand sich das Mesnerhaus und das mit einem Vorgarten versehene Pfarrhaus von 1696.  

Schulhaus von 1831

ehemaliges Pfarrhaus


 

  
Im alten Schulhaus befand sich um 1900 das Postamt.  



 

  
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwendete die Schwander Bevölkerung überkommene Straßenbezeichnungen. Die hier abgebildete, vom Marktplatz in südlicher Richtung abgehende Straße wurde als „Hirtengasse“ bezeichnet. Die „Schmalzgasse“, in der sich mehrere Bäckereien befanden, führte vom Marktplatz aus in Richtung Rednitzhembach. Und die vom Marktplatz in Richtung Harrlach führende heutige Allersberger Straße wurde damals als "Erlengasse" bezeichnet. 
   


Die Pflasterzollordnung von 1875:  
 
  

   
Von alters her verlangte der Markt Schwand von durchfahrenden Fuhrwerken Wegezoll, um das Schwander Pflaster und die Hembachbrücke in Ordnung zu halten. Zollbefreiung gab es für Bewohner umliegender Orte, die Grundstücke im Schwander Ortsgebiet hatten, die Getreide zu den Schwander Mühlen brachten oder Reparaturen bei Schwander Schmieden oder Wagnern durchführen ließen. Auch staatliche Fuhrwerke, Militär, Polizei und Feuerwehr waren vom Pflasterzoll befreit. Angeblich ist der Schwander Pflasterzoll erst 1938 aufgrund steuerrechtlicher Regelungen abgeschafft worden.  
   
 

Öffentliche Wasserversorgung  

Frau mit Wasserbutte   
   


Während in den umliegenden Ortschaften zur Wasserversorgung nur Pumpbrunnen zur Verfügung standen, gab es in Schwand wohl schon seit dem Mittelalter eine Art öffentlicher Wasserversorgung durch zwei ständig laufende Röhrenbrunnen. Die Voraussetzung dafür lieferten starke Quellen am damaligen Ortsrand oberhalb des Schulgebäudes von 1831.  
Mit Wasserbutten wurde das Wasser nach Hause getragen.


   
   

 

 

 

 

Plan der Wasserleitung  

 

Plan der Wasserleitung

  


1895 wurde anstelle der defekten alten Wasserleitung mit Holzrohren durch die Firma August und Jean Hilpert aus Nürnberg eine neue Wasserleitung aus gusseisernen Rohren hergestellt. Hierzu wurden die Quellen neu gefasst und darüber ein 5,75 m tiefer Einstiegsschacht errichtet.  Die Quellen befanden sich auf einem nördlich des Schulgebäudes von 1831 gelegenen Grundstück.
   


Christof Hörl, Bürgermeister  
   
Bürgermeister Hörl  



Christof Hörl war von Januar 1900 bis Dezember 1929 Bürgermeister der Marktgemeinde Schwand, 1. Vorstand des Gesangvereins und Besitzer der Schwander Oberen Mühle. In der Silvesternacht 1899/1900 brannten die Mühle und die dazugehörige Schneidsäge ab. Sofort danach ließ Hörl beide Gebäude neu errichten.  

   
 

 

 

 

 

 



Oberschlächtiges Wasserrad  Plan der Mühle

  
   
 

 

 

 

 

Oberschlächtige Wasserräder haben die kurz nach 1900 wieder errichtete Mühle und das Sägewerk angetrieben.  
Neu war, dass die beiden Wasserräder auch zur Stromerzeugung dienten. Nach der Gründung der Elektrizitätsgesellschaft Schwand konnten deren Mitglieder von der Hörl'schen Mühle elektrischen Strom beziehen, der fast ausschließlich zu Beleuchtungszwecken genutzt wurde.  




Kassabuch des Gesangvereins 1901  

Kassabuch  



Aus dem Kassabuch des Gesangvereins  "Liedertafel 1862 Schwand"  ergibt sich, dass elektrische Lampen in den Jahren nach 1901 gern an Schwander Hochzeitspaare verschenkt wurden.  
Immerhin hatte das neue elektrische Licht einen großen Vorteil: Es war nicht so feuergefährlich wie die bis dahin gebräuchlichen Petroleumlampen und Kerzenlichter. In den Orten der Umgebung, in denen keine Wasserkraft zur Verfügung stand, musste die Bevölkerung auf die elektrische Beleuchtung allerdings noch lange warten. Erst nach der Gründung des Fränkischen Überlandwerks Nürnberg im Jahre 1913 wurde die Region um Nürnberg allmählich mit Elektrizität über eine Fernleitung versorgt. Leerstetten ist z.B. erst im Juni 1920 an das Leitungsnetz des Fränkischen Überlandwerks angeschlossen worden.  
   
   
 

 


 





Nachdem Christof Hörl sein Mühlenanwesen verkauft hatte, wechselten in kurzer Zeit die Besitzer. Schließlich kaufte im Jahre 1910 der 27-jährige Müllermeister Lorenz Stinzendörfer (Zweiter von rechts) die Mühle.  



   
   
   
   
   
 Elternhaus Stinzendörfer  
   
   



Das Elternhaus von Lorenz Stinzendörfer in Ammerndorf (Lkrs. Fürth), eine Getreidemühle aus dem 17. Jahrhundert, die auch heute - immer wieder modernisiert – noch in Betrieb ist.  
   
   
   
   
   
   
   
   
   


Plan zum Turbineneinbau  
   
 
Lorenz Stinzendörfer war sich von Anfang an bewusst, dass die vorhandenen Wasserräder den gesteigerten Leistungsanforderungen (Stromerzeugung) nicht mehr genügten. Um den Wirkungsgrad der Anlage zu erhöhen, ließ er eine sog. Francis-Turbine einbauen. Zusätzlich schaffte er ein Dieselaggregat an, für dessen Unterbringung ein Anbau an die Mühle erforderlich wurde.  
   
   

 
Der Planausschnitt zeigt die anstelle der früheren hölzernen Wasserräder vertikal eingebaute Francis-Turbine. Das Wasser des Werkkanals führt über eine Rinne in einen geschlossenen Wasserbehälter. Die Turbine sitzt unterhalb des Wasserspiegels in der Wasserkammer. Durch die Abflussbewegung des Wassers wird die Turbine in eine Drehbewegung versetzt, die über verschiedene Übersetzungen dem Antrieb verschiedener Maschinen nutzbar gemacht werden kann.  


   
 



Die Abbildung zeigt den Turbinenantrieb von Mühle und Schneidsäge über eine liegende Welle und Riemenscheiben. Zu erkennen ist auch die Anlage zur Verstellung des Leitwerks vom Mühlengebäude aus. Die Turbine ist dadurch steuerbar. Sie kann den Schwankungen des Wasserstandes durch eine Veränderung der Stellung der Turbinenschaufeln angepasst werden.  
   
   

Ortsplan Schwand  

 

Ortsplan um 1900

  
Der Ortsplan von Schwand zeigt die räumliche Ausdehnung der Marktgemeinde um 1900. Einziges Gebäude nördlich des alten Ortskerns war damals „die Dampfsäge“ des Johann Michael Brunner.  
Brunner war nicht nur Betreiber eines Sägewerks und einer Möbelfabrik, sondern auch Besitzer eines hinter der Johanneskirche gelegenen Bauernhofes (Nürnberger Straße 15a).  
Auf dem Plan sind alle Gebäude schwarz gefärbt, in denen der Bierausschank erlaubt war. Hierzu gehörte auch die Kantine des Brunner'schen Sägewerks.  


Ansicht Dampfsägewerk  

 

  
 Im Jahre 1898 wurde von Johann Michael Brunner ein Antrag zur Errichtung eines Sägewerks eingereicht. Eine Dampfmaschine sollte die zum Antrieb der Säge und zu Beleuchtungszwecken benötigte Energie liefern.  


 

  
Nach der Inbetriebnahme eröffnete Brunner im Jahre 1900 bei seiner Säge eine Kantinenwirtschaft. Immerhin waren zu diesem Zeitpunkt bereits 37 Personen – und 2 Monate später schon 55 Personen – im Sägewerk und in der Möbelfabrik beschäftigt. Da Brunner Bier an jedermann ausschenken ließ, kam er in Schwierigkeiten. Zum Betrieb einer Gaststätte fehlte ihm nämlich die Konzession. In der Folge wehrten sich die Schwander Gastwirte dagegen, dass der Kantinenpächter, Johann Bernreuther, an Sonntagen Bier auch an nicht im Betrieb beschäftigte Personen ausschenkte. 

Letztlich entschied 1904 die Regierung von Mittelfranken den Streit: Während der 3-stündigen sonntäglichen Arbeitszeit sei „für die Arbeiter der Genuß geistiger Getränke nicht notwendig. Sollte die Arbeit ausnahmsweise länger dauern, so können sie sich mit Flaschenbier behelfen. Für die im Sägewerk wohnenden Arbeiter reichen an den Sonntagen ebenso wie an den Werktagen für die Kunden des Sägewerks die 5 in Schwand selbst vorhandenen, lediglich 465 – 705 m entfernten Wirtschaften“ (StAN, Rep. 212/17, LRA Schwabach, Abg. 1984, Nr. 3793).

1905 hatte sich die Zahl der Arbeiter „aus aller Welt“ auf durchschnittlich 90 weiter erhöht. Es wird berichtet, dass Tag und Nacht gearbeitet wurde. Doch gab es auch immer wieder Probleme mit verschiedenen Behörden. Bemängelt wurden mangelnde Sicherheitsvorkehrungen, Verstöße gegen die Gewerbeordnung und das Arbeitsrecht  
(vgl. StAN, Rep. 212/17 III, LRA Schwabach Abg. 1956, Nr. 9905).  



 

In seinem Bericht über das Jahr 1910 erwähnt der damalige Schwander Pfarrer Kehrer den Bankrott des Sägewerkbesitzers Brunner: „Der finanzielle Zusammenbruch des hiesigen Dampfsägewerksbesitzers Brunner und seine Gewissenlosigkeit hat verschiedene früher gutsituierte Familien ins Verderben gerissen.“  
(LAELKB, Bay. D Schwabach, Nr. 232).  
Der Betrieb des Sägewerks und die Möbelfabrikation sind nach 1910 durch den neuen Besitzer Karl May mit einer allerdings deutlich geringeren Zahl von Mitarbeitern fortgesetzt worden.  


Lebensmittelkontrolle  
 

Eine im Juli 1911 durchgeführte Lebensmittelkontrolle in Schwand gibt Aufschluss über das seinerzeitige Versorgungsangebot mit Nahrungs- und Genussmitteln. Demnach gab es damals in der Marktgemeinde:  
5 Spezereien (Gemischtwarenläden)  
6 Wirtschaften  
3 Metzgereien  
5 Bäckereien  
   
 

 

 


   


Einwohnerzahlen der zum Polizeidistrikt Schwand gehörenden Ortschaften (1913)  
 

Im Februar 1903 stellte Bürgermeister Christof Hörl den Antrag auf Errichtung einer Gendarmeriestation in Schwand. Die vorgesetzten Behörden sprachen sich jedoch gegen den Antrag aus. Man war der Ansicht, die für Schwand zuständige, mit drei Polizeibeamten besetzte Station in Wendelstein sei auch für die Sicherheit der umliegenden Orte ausreichend.  
Doch Hörl erneuerte in den folgenden Jahren immer wieder seine Forderung. Als Begründung führte er die Zunahme der Sicherheitsgefährdung in Schwand durch die Nähe zur rasch wachsenden Großstadt Nürnberg und das Auftreten von Wilderei in den großen Waldgebieten rund um Schwand an. Vor allem aber befänden sich unter den Arbeitern der Dampfsäge Personen, „welche die Anwesenheit von Gendarmen dringend notwendig erscheinen lassen.“ Angeblich waren vermehrt tätliche Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und diesen Arbeitskräften in Schwander Gasthäusern aufgetreten, die nicht zeitnah zu beenden waren, weil die Wendelsteiner Polizisten bis nach Schwand ca. 2 Stunden brauchten.  
Schließlich genehmigte das Kgl. Bayerische Ministerium des Inneren 1913 doch noch eine Schwander Polizeidienststelle (StAN, Rep. 212/17 IV, LRA Schwabach, Abg. 1984, Nr. 929). Sie sollte zunächst mit einem Beamten besetzt werden. Die Dienststelle befand sich im ehemaligen Richterhaus in der Nürnberger Straße 17. Im Jahre 1924 wurde der Gendarmeriestation ein zweiter Polizeibeamter zugeteilt.  

Eine wesentliche Verbesserung der Verkehrsverbindungen brachte die Errichtung einer Omnibusverbindung zwischen Schwand und Nürnberg mit sich. Die „Postmotorverbindung“ nahm am 1. April 1914 ihren Dienst auf (vgl. StAN, Rep. 212/ IV, LRA Schwabach, Abg. 1984, Nr. 1851). Sie eröffnete der Bevölkerung vor allem die Möglichkeit, täglich zu Arbeitsplätzen in Nürnberg zu gelangen.  


 Kulturelles Leben und Brauchtum im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts

   

                                                                                                                                                           
In einer Zeit ohne Fernsehen und ohne Radioprogramme - die erste Radiosendung in Deutschland ist erst 1923 ausgestrahlt worden - waren es im Wesentlichen die Vereine, die das Freizeitverhalten der Schwander Bevölkerung prägten.  
Das Gruppenbild, das Mitglieder des Gesangvereins „Liedertafel 1862 Schwand“ zeigt, gibt auf den ersten Blick Rätsel auf. Unschwer zu erkennen ist der damalige Vorstand des Vereins, Christof Hörl (3. Reihe, Erster von links). Da die Lebensdaten einiger der ab­gebildeten Personen bekannt sind, kann man zumindest annäherungsweise sagen, dass das Foto um das Jahr 1905 entstanden ist. Auch lassen die Musikanten im Hintergrund darauf schließen, dass das Gruppenbild anlässlich einer Tanzveranstaltung gemacht wurde. Doch warum gingen die Damen und Herren in einer bäuerlichen Festbekleidung zum Tanzen, die zwar typisch für die Gegend war, aber damals längst der Vergangenheit angehörte?  
Schon im 19. Jahrhundert hat das Königreich Bayern eine Verordnung zur Bekämpfung „der Tanzwut“ erlassen. Demnach waren Tanzveranstaltungen nur an Kirchweihfesttagen und wenigen Feiertagen zugelassen. Allerdings gab es für diese Beschränkungen auch Ausnahmen. Tanzveranstaltungen, zu denen die Teilnehmer in einheimischen Volks­trachten erschienen, die also auch der Brauchtumspflege dienten, waren zulässig. Auf diese Ausnahmeregelung haben sich wohl die hier abgebildeten Tänzerinnen und Tänzer berufen.  
Die im Kassabuch des Gesangvereins enthaltene Auflistung der jährlichen Ausgaben belegt eindrucksvoll, in welch hohem Maße dem Verein in den Jahren nach 1900 daran gelegen war, seinen zahlreichen Mitgliedern (1919: 32 aktive, 85 passive Mitglieder) und deren Angehörigen ein reiches Veranstaltungsangebot zu unterbreiten:  
Die jährliche Weihnachtsfeier war damals immer mit einer Christbaumversteigerung ver­bunden. Für die musikalische Umrahmung sorgte eine Musikkapelle, die von Georg Klein aus Schwand geleitet wurde.  
Darüber hinaus gab es eine Tombola, an der man sich durch den Kauf von Losen zu je 20 Pfennig beteiligen konnte. Hier die Liste von Gegenständen, die bei der Verlosung im Dezember 1901 zu gewinnen waren (ein Auszug):  


Übersetzung der links abgebildeten Liste
 

   
In der Faschingszeit wurde von der Liedertafel ein Maskenball abgehalten. Als besondere Attraktion leistete sich z. B. 1902 der Verein zu diesem Anlass den Auftritt von Komikern, wofür er die für damalige Verhältnisse nicht unerhebliche Summe von insgesamt 38 Mark aufbrachte. Zum Vergleich: 0,5 l Bier kosteten damals in Schwander Gaststätten 10 Pfen­nig, ein Essen 40 Pfennig.  
Besonders beliebt waren die jährlichen Theateraufführungen des Gesangvereins im Gast­haus „Zum Schwan“. Auch hierbei wurden vom Erwerb einer geeigneten Textvorlage für das Bühnenstück über den Bühnenaufbau, die Beschaffung von Kostümen und Perücken bis zur musikalischen Begleitung weder Kosten noch Mühe gescheut.  
   
 
                                                                                                                                             

In den Sommermonaten übte der am nördlichen Ortsrand von Schwand, gegenüber vom heutigen Vereinsgelände des FC Schwand gelegene damalige Sommerkeller (auch als Felsenkeller bezeichnet) auf die Bevölkerung eine große Anziehungskraft aus. Unter dem Gebäude befanden sich die zum Einlagern des Bieres der Hörl'schen Brauerei bestimmten Kellerräume. Daneben konnte man in schattiger Waldrandlage auf bequemen Bänken das frische Bier genießen und dabei eine Partie kegeln.  
Für die Schwander Vereine bot der Sommerkeller ideale Voraussetzungen für die Abhal­tung von Kellerfesten und Vereinsjubiläen. So feierte z. B. der Gesangverein im Juni 1925 am Sommerkeller die Einweihung einer neuen Vereinsfahne. Eingeladen zur Fahnenweihe waren am Festsonntag 35 Gesangvereine aus der ganzen Umgebung. Zum Ausschank kam zu diesem Anlass wohl ein besonders schmackhaftes Festbier, denn im Protokollbuch des Vereins findet sich folgender Vermerk: „Am Montag sammelten sich die Sangesbrüder zur Nachfeier noch mal im Felsenkeller, wo dem edlen Naß gut zugesprochen wurde“ (Protokollbuch, S. 25).
 

Die in deutscher Schreibschrift von Pfarrer Christian Kehrer (1907 - 1929 Pfarrer in Schwand) 1911/12 verfasste, in späteren Jahren zum Teil durch Nachträge ergänzte, verdienstvolle „Allgemeine Pfarrbeschreibung“ der evangelisch-lutherischen Pfarrei Markt Schwand (LAELKB, Bay D Schwabach, Nr. 254) enthält auch eine Schilderung von Sitten und Gebräuchen, die in den Jahren nach 1900 innerhalb der Kirchengemeine Schwand noch vorzufinden waren.  
   
Das „Pfeffern“  


Erwähnt wird von Pfarrer Kehrer u. a. das „Pfeffern“ am 2. Weihnachtsfeiertag. Mit Ruten ausgestattet, zogen Kinder am „Pfefferlestag“ von Haus zu Haus und bedachten die Er­wachsenen mit Schlägen. In der Schwabacher Gegend wurde hierbei der Spruch auf­gesagt:

    „Schmeckt’s Pfefferla gout?  
     Schmeckt’s Pfefferla gout?  
     Ist’s g’salz’n, ist’s g’schmalz’n,  
     schmeckt’s nochmal so gout.“  
     (Historisches Stadtlexikon Schwabach, S. 538)  
 

Im „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ ist unter dem Stichwort „Pfeffern“ zu lesen: „Pfeffern heißt in mittel- und süddeutschen Gegenden das brauchmäßige Schlagen mit der glückbringenden Rute an bestimmten Tagen.“ In Schwand wurden hierzu meistens Zweige des immergrünen, mit stechenden Nadeln versehenen Wacholderstrauchs ver­wendet. Letzterer wurde auch manchmal als „Lebensrute“ bezeichnet. Im Volksglauben verwurzelt war nämlich die Überzeugung, dass man die Kräfte, die man der Pflanze zu­schrieb, auf die mit der Wacholderrute geschlagene Person überträgt, um deren Lebens­kraft und Fruchtbarkeit zu stärken. Der Ausdruck „pfeffern“ rührt daher, dass die mit der Lebensrute geschlagene Person ursprünglich als Gegenleistung für das Ritual einen Pfefferkuchen (Lebkuchen) geben musste. Der einst weitverbreitete Brauch ist je nach Gegend zu unterschiedlichen Zeiten ausgeübt worden. Auch das hierbei verwendete Material (Ruten und Zweige) und der bei der Zeremonie aufgesagte Spruch variierten.  
   
Das Bestattungsritual als christliches Brauchtum

Nicht verwunderlich ist, dass sich der Verfasser der Pfarrbeschreibung mit dem religiösen Brauchtum in Schwand auseinandersetzte. Besonders ausführlich schildert er das da­malige Bestattungsritual, das vermutlich schon bald danach gründlich modifiziert wurde.  
„Pfarrer und Lehrer ziehen mit dem Schulchor unter vollem Glockengeläute [...] zum Sterbehaus, wo 3 Verse eines Liedes gesungen werden. Während des Gesangs wird dem Geistlichen u. dem Kantor von der Leichenfrau eine Zitrone auf einem Teller über­reicht“ (LAELKB, Bay D Schwabach, Nr. 254, S. 152).  
Die Sitte, Teilnehmern an Leichenzügen Zitronen zu reichen, war im 18. und 19. Jahr­hundert in ganz Deutschland verbreitet. Einerseits wohl wegen des intensiven Geruchs, der von den Zitrusfrüchten ausgeht, andererseits gilt die Zitrone auch als Sinnbild des Lebens. „Die Bedeutung der Zitrone beim Leichenbegängnis ist viel umstritten. Vielleicht sollte diese aromatisch riechende Frucht ursprünglich den Leichengeruch übertäuben oder ihre Träger vor Ansteckung schützen“ (HBDA, Bd. IX, S. 941).  

Am Sterbehaus formierte sich der Trauerzug. Anschließend ist der Sarg von vier bis sechs Männern auf einer Bahre zum Friedhof getragen worden, wo die Einsegnung vorgenom­men wurde.  
   

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Für Verstorbene aus den zur Pfarrei gehörigen Außenorten stand damals zu deren Über­führung nach Schwand ein geschlossener, von zwei Pferden gezogener Leichenwagen zur Verfügung, wie das folgende Foto aus Mittelhembach zeigt.  
  
    
Der Transport des Sarges erfolgte nicht auf direktem Weg zum Schwander Friedhof. Der Verstorbene wurde vielmehr zunächst in Schwand vor demjenigen Wirtshaus aufgebahrt, in dem später auch der Leichentrunk stattfand. Von dort bewegte sich anschließend der Trauerzug zum Friedhof. Erst im Anschluss an das Begräbnis wurde dann die Leichen­predigt in der Kirche gehalten.  
   

Eine merkwürdige Begräbnissitte sei noch erwähnt: „Dem Toten wird hier allgemein das Leiden Christi aus Wachsfiguren auf die Brust und mit in’s Grab gelegt, Reicheren das ganze, Ärmeren das halbe Leiden Christi, welches 12 M. bzw. 6 M. kostet“ (Pfarrbeschrei­bung, S. 154). Auf einem später hinzugefügten Beiblatt (vom 17. Juni 1919) findet sich hierzu Folgendes:  
 
Pfarrbeschreibung

   
In Form einer wohl später von fremder Hand geschriebenen Randnotiz (Pfarrbeschrei­bung, S. 154) wird der Versuch unternommen, die Sargbeigabe aus theologischer Sicht zu interpretieren:  
 

Randnotiz

   

Wie sehr sich Bestattungsriten innerhalb eines überschaubaren Zeitraums ändern können, wird anhand folgender Schilderung klar: „Einladung hierzu [zur Beerdigung, Anm. d. Verf.] ergeht durch Leichenbitter von Haus zu Haus, welchen ein Trinkgeld - 5 bis 20 Pf. - oder Naturalien verabreicht werden. Nach der Beerdigung wird dem Pfarrer r. [respektive, Anm. d. Verf.] Kantor 1 l Bier u. 2 Wecken von der Leichenfrau in’s Haus gebracht, manchmal auch 1/2 Pfd. Käse [...]. Eine Leichenverbrennung ist hier noch nicht vorgekommen [...]“ (Pfarrbeschreibung, S. 153/154).  
Deutlich wird, dass einzelne Bestattungssitten, hier z. B. das Verabreichen von Bier und Brötchen an Pfarrer und Lehrer, ganz verloren gegangen sind. Andere haben sich ver­ändert. So ist z. B. die Bekanntgabe des Todes durch Leichenbitter inzwischen durch die Todesanzeige in der Zeitung ersetzt worden.  
Auch das Sterben selbst hat sich seither gewandelt. Bis auf wenige Ausnahmen starben früher die Menschen zuhause im Kreis der Verwandten. Letztere umstanden das Bett und nahmen persönlich Abschied von dem Sterbenden.  
Dass dies heute in vielen Fällen nicht mehr so ist, zeigt ein Bericht der Nürnberger Zeitung vom 20.10.2016, der auf dem DAK-Pflegebericht 2016 basiert. Demnach „sterben drei Viertel der Menschen in Kran­kenhäusern und Heimen [...]. Laut Pflegereport ist im Krankenhaus jeder Fünfte und im Heim sogar jeder dritte alte Mensch beim Sterben allein [...]  
Dem Report zufolge gaben nur zwei Prozent der Befragten an, in einem Pflegeheim sterben zu wollen und vier Pro­zent im Krankenhaus.“ Wie früher, zuhause und im Kreis der Familie zu sterben, bleibt für die meisten Menschen heutzutage Wunschdenken.  
   
      
Dieser Text wurde dem Museumsverein Schwanstetten von Dr. Reinhard Stinzendörfer zur Verfügung gestellt. Von Herrn Mathias Zeh sind dankenswerterweise zahlreiche Fotos aus seiner Sammlung. Das restliche Bildmaterial wurde von Herrn Stinzendörfer bereitgestellt, mit Ausnahme einer Abbildung, die aus dem Fundus des Museumsvereins stammt.  
   
Der komplette Abbildungsnachweis sowie Quellenangaben und weitere Erläuterungen folgen.
   
Für die Aufbereitung der Internetseite verantwortlich:  
Alfred J. Köhl  
   
August 2015/ Januar 2016 / März 2017/ April 2017 / April 2024

   

Als Anhang finden Sie jeweils eine Druckversion sowie den Artikel "Mit Leiden Christi in den Sarg" vom Samstag, den 22. April 2017 im Schwabacher Tagblatt auf Seite 38/HST zum Download.  

Alfred J. Köhl  
 

Anhang Größe
Der Markt Schwand im letzten Jahrhundert.pdf (4.28 MB) 4.28 MB
hst-lokal6-038-220417_b.pdf (456.31 KB) 456.31 KB
Die Zitrone_neu_1.pdf (229.45 KB) 229.45 KB